Die schönste Seereise der Welt
Ein leichtes Beben, begleitet von einem dumpfen Donnergrollen, erschüttert die MS Nordnorge. Keine Panik, kein Erdbeben – die Bug- und Heckstrahler schieben sanft das Schiff seitwärts von der Mole weg. Nach einigen Minuten ruhigen Dahintreibens ist nur noch ein leises Grummeln der Schiffsmotoren zu hören, während die MS Nordnorge in die Schären hinausgleitet.
Hurtigruten, das ist das norwegische Wort für «die schnelle Route». Wirklich schnell sind die Schiffe allerdings nicht. Im späten 19. Jahrhundert war die 780 Meilen lange Küstenlinie von Bergen nach Kirkenes eine vielbefahrene Route für den Transport von Gütern und Menschen, bedient von allen Schiffstypen, von Dampfschiffen bis hin zu «Jakts» mit nur einem Segel. Doch die Dienstleistungen waren unzuverlässig und selten und die Schiffe fuhren kaum bei Nacht. Dies änderte sich erst, als Richard With 1893 das Dampfschiff DS Vesteraalen entlang der norwegischen Küste in Dienst stellte und eine regelmässige Seeverbindung mit wöchentlichen Abfahrten schuf. Weil für die Strecke von Bergen bis Kirkenes nur sieben Tage benötigt wurden, erhielt die Gesellschaft den Namen «Hurtigruten».
Schon nach wenigen Minuten an Bord stellt sich ein wohliges Gefühl ein – «hygge» heisst das auf Dänisch. Verbreitet in ganz Skandinavien und bekannt auf der ganzen Welt. In den äusserst komfortablen Sesseln der Lounge & Bar im 6. Stock zieht die Landschaft der norwegischen Schären langsam und fast wie an einer Kinoleinwand vorbei.
Hurtigruten sind keine Kreuzfahrtschiffe. Es gibt hier keinerlei Unterhaltung. Keinen Pool (ausser zwei Whirlpools), keine Shows, Casinos, Kletterwände, Tropengärten, Captains-Dinner oder sonstige Spass-Veranstaltungen. Die Landschaft, die Ruhe und das Schiff stehen auf dieser Reise im Zentrum. Während der vollen Rundreise werden 34 Häfen angelaufen, über 100 Fjorde und 1000 Berge können entdeckt werden. An jedem Hafen besteht die Möglichkeit, das Schiff zu verlassen und an einem der über 100 Ausflüge teilzunehmen. Das Expeditionsteam, welches auch Deutsch spricht, steht beratend zur Seite.
Die 1980 erbaute Nordnorge wurde 2016 umfassend renoviert, so wie die meisten anderen Hurtigruten-Schiffe auch. Die in nordischem Stil erbauten Restaurants setzen, wie der langjährige Reservationsmanager Tyge erzählt, auf lokale, norwegische Küche. Im Hauptrestaurant Tyge geniessen wir das Frühstücksbuffet, das Mittagsbuffet und ein serviertes 3-Gang Abendemenü. Wer Lust hat, wählt sich im Kysten Restaurant gegen Aufpreis ein à la carte Gericht oder im Bistro einen Burger oder eine Pizza. Wie wohltuend – das freundliche, zuvorkommende Personal stammt aus Norwegen. Wie unkompliziert es zu- und hergeht bemerken wir beim Mittagessen. Für die Schiffsoffiziere ist ein Tisch mitten unter den Gästen reserviert, es gibt keine separate Offiziers-Kombüse. Abendkleid, Anzug und Krawatte – alles überflüssig. Wichtiger sind, wenigstens bei Reisen im Winter, richtig warme Kleider für die Ausflüge.
Die Kabinen sind alle gleich ausgestattet. Es hat alles, was es braucht – nämlich Dusche/WC, einen Fön, Duschgel, Schreibtischchen und einen Schrank. Mehr aber nicht. Also keinen Fernseher, Minibar oder Balkon. Unterschiedlich ist nur die Lage der Kabinen, auf Deck 2 oder 3 die unteren, 5 und 6 die mittleren und oberen Etagen. Wirklich geräumiger und mit grösseren Doppelbetten ausgestattet sind nur die Suiten. Doch in den Kabinen halten wir uns – wie alle Gäste – nur zum Schlafen und zum Duschen auf. Es hat so viele Aufenthaltsräume, dass sich immer eine Ecke zum Beobachten oder Lesen findet.
09.45 Uhr Freitagmorgen – wieder geht ein leichtes Beben durch das Schiff. Es legt in Trondheim an, wieder werden Autos, Maschinenteile, Paletten mit Material und ähnliches ausgeladen. Bis heute dienen die Hurtigruten als Transportmittel. Wir gehen etwas wehmütig von Bord und betrachten die Zurückgebliebenen neidisch – gerne wären wir ein paar Tage länger weitergereist. Das «hygge» Wohlgefühl war längst bei allen angekommen.